Herstellungs- und Vergütungsgefahr im Werkrecht

18.09.2024 I Sophie Goldenbogen


In einem unserer letzten Blogbeiträge haben wir die Leistung- und Preisgefahr im Kaufrecht kennengelernt , heute wollen wir dieses Wissen nutzen und uns die sogenannte Herstellungs- und Vergütungsgefahr im Werkrecht anschauen und dabei die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede kennenlernen.

Der Fall

Stellen wir uns vor, ein Besteller B bestellt bei einem Werkunternehmer, dem Handwerker U, einen Stuhl aus Holz. Als Holz soll ausschließlich das Holz benutzt werden, dass der B von seinem Opa geerbt hat. Der Handwerker geht ans Werk und schreinert aus dem Holz einen Stuhl. Das ganze Holz ist jetzt aufgebraucht, der Stuhl ist fertig. Leider geht durch einen Brand, der durch einen Blitzeinschlag ausgelöst wurde, die Werkstatt unter und auch der Stuhl ist jetzt vollständig zerstört. Am nächsten Tag kommt der Besteller und will den Stuhl abholen. Wie ist die Rechtslage?

Das Herstellungsrisiko

Als Erstes sollte man sich fragen, ob der Besteller eigentlich noch einen Anspruch auf die Herstellung eines neuen Stuhls hat. Der Anspruch ist eigentlich durch den Abschluss des Werkvertrages entstanden. Weil es sich aber bei der Werkleistung um eine sogenannte nicht wiederholbare Werkleistung handelt, da nämlich das ganze Holz, das eigentlich für die Herstellung vorgesehen war, untergegangen ist, ist jetzt auch der Anspruch des Bestellers gemäß § 275 Abs. 1 BGB erloschen. Man könnte auch sagen: bei einer nicht wiederholbaren Werkleistung trägt der Besteller das Herstellungsrisiko.
Der Besteller könnte jetzt zwar nach § 280 Abs. 1 Abs. 3 BGB und § 283 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz wegen nachträglicher Unmöglichkeit haben. Der U hat die Unmöglichkeit aber nicht zu vertreten, für den Blitzeinschlag kann er nichts.
Ergebnis: Kein Stuhl mehr für B.

Die Vergütungsgefahr und Abnahme

Jetzt stellt sich nur noch die Frage, ob der Werkunternehmer den Werklohn bekommt, denn immerhin hat er seine ganze Arbeit verrichtet, der Stuhl war ja fertig geschreinert.
Damit ein Werkunternehmer einen Anspruch aus dem Werkvertrag hat, braucht man aber nicht nur den Werkvertrag, sondern gemäß § 644 Abs. 1 BGB und § 641 BGB die Abnahme der Werkleistung. Denn ohne die Abnahme der Sache wird der Anspruch auf die Vergütung nicht fällig. Abnahme ist die körperliche Entgegennahme der Sache verbunden mit der Billigung des Werkes als im Wesentlichen vertragsgemäß. Hier hat B die Sache aber noch nicht entgegengenommen. Man könnte auch sagen: beim Werkvertrag trägt der Werkunternehmer grundsätzlich die Vergütungsgefahr bis zur Abnahme.
Im Übrigen ist der Anspruch auf den Werklohn ja ohnehin gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB untergegangen. Das ist genauso wie im Kaufrecht. Wenn die eine Seite die Leistung wegen Unmöglichkeit gem. § 275 Abs. 1 BGB nicht mehr bekommt, dann erhält gemäß § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB auch die Gegenseite nicht mehr ihre Leistung.

Ostervorschriften

Wir haben in unserem letzten Blogbeitrag bereits gesehen, dass von diesem Grundsatz Ausnahmen gemacht werden, mittels der sogenannten Ostervorschriften (nicht zitierfähig). Man nennt diese Vorschriften eigentlich „Preisgefahrvorschriften“. Wenn die Voraussetzungen solcher Vorschriften vorliegen, verlagert sich die Preisgefahr, oder wie hier in unserem Fall die Vergütungsgefahr auf die andere Partei. Und das würde bedeuten, dass der Besteller doch die Vergütung an den Werkunternehmer zahlen muss, obwohl dieser selbst keine Leistung an den Besteller erbracht hat.
Einer dieser Vorschriften ist der § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB (bitte lesen). Die Voraussetzungen liegen aber hier nicht vor, weil der Besteller als Gläubiger nicht für die Unmöglichkeit verantwortlich ist. Im Übrigen liegen auch nicht die Voraussetzungen der zweiten Alternative vor, weil der Besteller nicht im Verzug mit der Abnahme war. Das wäre nur dann der Fall, wenn der Werkunternehmer bereits längere Zeit auf den Besteller warten würde, damit dieser den Stuhl endlich abholt. Der Inhalt dieser Vorschrift ist übrigens wiederholt in § 644 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Sonstige Vorschriften sind auch nicht einschlägig, insbesondere nicht der § 645 Abs. 1. BGB. Damit ist das unser vorläufiges Endergebnis: der Besteller erhält keinen Stuhl mehr und der Werkunternehmer erhält keinen Lohn.

Der BGH öffnet eine Hintertür

Es bleibt noch zu erwähnen, dass der BGH höchst ausnahmsweise erwägt, zum Schutz des Unternehmers doch zumindest einen Anspruch auf Teilvergütung nach § 645 Abs. 1 BGB analog zuzusprechen. Da diese Vorschrift aber eigentlich ein enumerativer Ausnahmetatbestand ist, sollte die Vorschrift nur in sehr seltenen Fällen angewendet werden, wenn man ansonsten ein sehr schlechtes Gewissen hat, dass der Unternehmer keine Vergütung erhält. Oder in Juristensprache, wenn die Voraussetzungen für eine Analogie vorliegen. Das ist vom Einzelfall abhängig, hier kann man in einer Klausur mit guter Argumentation und Abwägung punkten.

Fazit

Für die Vorbereitung auf das Examen ist es ratsam zu versuchen, das BGB, als zusammenhängendes System zu verstehen. Versucht daher die Gemeinsamkeiten zu erkennen zwischen den Fällen, in denen eine verkaufte Sache noch vor der Übereignung an den Käufer kaputtgeht, und solchen, bei denen die von einem Werkunternehmer hergestellte Sache noch vor der Abnahme durch den Besteller kaputtgeht. In beiden Fällen geht es darum, ob die Partei jeweils den Anspruch auf ihre Leistung hat oder ob sie ihn verloren hat. Wenn euch dieser Beitrag gefallen habt und ihr gern mehr hilfreiche Beiträge lesen möchtet, abonniert gern unseren Newsletter. Solltest ihr euch noch mehr Unterstürzung dabei wünschen endlich den Durchblick im Zivilrecht zu bekommen, stehen euch unsere erfahrenen Dozenten der Kraatz Group, Akademie Kraatz und der Assessor Akademie vom Grundstudium bis zum 2. Staatsexamen mit Rat und Tat zur Seite. Vereinbart gern einen Probetermin.

Sophie Goldenbogen



RSS Feed abonnieren