BGH: Flugreise und coronabedingtes Einreiseverbot

28.08.2024 | von Sander Singer

BGH, Urteil vom 25.06.2024 - X ZR 97/23

Die rechtliche Aufarbeitung der Corona-Pandemie wird die Gerichte noch lange beschäftigen. In der Entscheidung BGH, Urteil vom 25.06.2024 - X ZR 97/23 geht es um die Frage, ob ein Reisebüro Flugkosten zurückerstatten muss, weil die Reisenden ihren Flug aufgrund eines Einreiseverbots im Zielland USA nicht antreten konnten.

Sachverhalt

Klägerin K betreibt ein Reisebüro in München. Sie bietet ihren Kunden spannende Ausflüge und umfassende Reisen auf allen Kontinenten an. Nachdem sich Ende 2020 die erste Corona-Panik gelegt hat, möchte eine dreiköpfige Reisegruppe bei K eine Reise in die USA buchen. Zwar besteht zum Zeitpunkt noch ein Einreiseverbot für Personen aus dem Schengenraum in die USA, die Beteiligten hoffen indessen, dass dieses Verbot bald aufgehoben wird. Tatsächliche Anhaltspunkte für die Aufhebung des Verbotes zeichnen sich zu dieser Zeit allerdings noch nicht ab. Die Reise solle ohnehin erst im August 2021 stattfinden, sodass aus Sicht der Beteiligten noch viel Zeit für eine positive Entwicklung der Lage bestünde.
Die K buchte daraufhin bei der Beklagten Airline L drei Tickets für die Gruppe. Die Reise sollte aus München über San Francisco und dann nach Las Vegas führen, von wo die Gruppe wieder zurück nach München reisen wollte. Der zwischen der Klägerin K und der Airline geschlossene Vertrag sah vor, dass im Falle einer Stornierung lediglich Steuern und Gebühren zurückerstattet werden sollten. Sodann zahlte K an L 2113,68 EUR, wovon 1117,68 EUR Steuern und Gebühren waren.
Es kam, wie es kommen musste, das Einreiseverbot der USA wurde erst am 07. November 2021 aufgehoben. Die Reisegruppe trat die Reise deswegen nicht an. Der Flug der L, in welchem die Drei hätten mitfliegen sollen, fand dennoch statt.
Die Klägerin K nimmt die Beklagte L auf Zahlung iHv 2113,68 EUR in Anspruch. Das AG München hatte L zur Zahlung der 1117,68 EUR verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Daraufhin geht K in Berufung, um den Restbetrag zu erlangen. Das LG wies die Berufung zurück. Nun ist die K in Revision zum BGH gegangen.

Wesentliche Aussagen

  1. Die zulässige Revision ist unbegründet.
  2. Es ergibt sich kein weiterer Anspruch aus § 648 BGB iVm § 812 I S. 1 BGB.
  3. Ebenso ergibt sich kein Anspruch aus § 648a BGB.
  4. Ansprüche wegen Unmöglichkeit nach § 346 I, II BGB iVm § 326 V BGB und § 275 I BGB scheiden aus.

Bedeutung der Entscheidung für das Examen

Wieder einmal beschäftigt sich der BGH mit einem coronabedingten Fall der Unmöglichkeit. So simpel die Lösung erscheint, so elementar sind doch die durch sie aufgezeigten Grundlagen des Schuldrechts.

Weichenstellung in der Klausur

Zunächst verschaffen wir uns einen Überblick über die Inhalte des Urteils. Zum einen ergeben sich Aspekte aus der Art des Vertrages, hier eines „Luftbeförderungsvertrags“, welcher einen Werkvertrag iSd §§ 631 ff. BGB darstellt. Diese wollen wir zuerst abhandeln und „aus dem Weg räumen“. Sodann müssen wir uns mit den eigentlich interessanten Aspekten der §§ 323 ff. BGB auseinandersetzen.

Werkvertrag und § 648 BGB

Ein Werkvertrag, dem Flugleistungen zugrunde liegen, bietet für das Prüfungsamt eine tolle Möglichkeit, sich näher mit § 648 BGB auseinanderzusetzen.
In der Entscheidung (im Oktober 2023 hier besprochen und anbei verlinkt ) hatte ein Passagier – paradoxerweise – fast den vollen Betrag eines von ihm versäumten Fluges zurückerhalten, weil die Airline sich durch die Nichtbeförderung so viel erspart hatte, § 648 S. 2 Hs. 2 BGB. Der Unternehmer, also die Airline, muss sich das anrechnen lassen, was er durch die Aufhebung des Vertrages erspart hatte.
Im vorliegenden Fall liegt die Sache anders: Die Parteien haben einen Vertrag geschlossen, aus welchem sich ergibt, dass im Falle der Kündigung bzw. Stornierung nur die Steuern und Gebühren zurückzuerstatten sind. Die in § 648 S. 2 BGB getroffene Regelvermutung ist dispositives Recht, welches durch die Parteien ausgeschlossen werden kann. So liegt der Fall hier. Die L muss nicht alle ersparten Aufwendungen (z.B. Essen, Sprit etc.; soweit tatsächlich erspart) erstatten, sondern nur die eben genannten Steuern und Gebühren. Die Erstattung derselben hatte bereits das AG zuerkannt.

Unmöglichkeit und Rücktritt

Der BGH hat im Ergebnis eine Rückzahlungsverpflichtung der L abgelehnt. Hierbei lässt er offen, ob tatsächlich eine Unmöglichkeit der Leistung vorliegt, die zu einem Rücktritt über § 326 V BGB berechtigen würde. Das kann er deshalb machen, weil er sagt, dass ein Rücktritt als solcher bereits ausgeschlossen sein muss. Diese Lösung, die das Pferd freilich „von hinten aufsattelt“, knüpft an die Frage an, wer für eine potentielle Unmöglichkeit verantwortlich ist. Logisch erklärt sich das Ganze wie folgt:
  • Läge keine Unmöglichkeit vor, wäre ein Rücktritt ausgeschlossen.
  • Läge Unmöglichkeit vor, wäre die Klägerin jedenfalls für die Unmöglichkeit verantwortlich, sodass das Rücktrittsrecht ausgeschlossen wäre.
Die Erklärung für diese Lösung sucht der BGH in § 323 VI BGB. Ist der Schuldner für den zum Rücktritt berechtigenden Umstand allein oder weit überwiegend verantwortlich, schließt dies einen Rücktritt aus.
(Anmerkung: Warum der BGH überhaupt bis zum Rücktritt prüft und nicht bereits über § 326 II BGB den Anspruch auf Gegenleistung trotz Unmöglichkeit erhält, erklärt sich aus der Literaturansicht, dass Zweck des § 326 V BGB u.a. sei, dass das Schuldverhältnis als Ganzes erlöschen soll, sodass es auf einen Rücktritt wegen Unmöglichkeit nicht mehr ankommt. Die Verantwortlichkeit für die Unmöglichkeit ist nämlich regelmäßig schwer zu bestimmen. Der restliche Anspruch der Klägerin bestimmt sich dann aus § 648 BGB.)
Der BGH führt weiterhin aus, dass die Verantwortlichkeit hier bei der Klägerin lag. Sie war nach dem Vertragsinhalt für das Leistungsrisiko eingetreten. Zum Zeitpunkt, als die K bei L buchte, war noch nicht absehbar, wie sich das Einreiseverbot oder die Pandemie als solche entwickeln würde. Insofern muss die K für diese Unmöglichkeit eintreten.

Unmöglichkeit nach Vertragsschluss

Anders hat der BGH in einem Fall entschieden, in dem die Unmöglichkeit sich erst nach dem Vertragsschluss ergeben hat (BGH, Urteil vom 30. November 1972 - VII ZR 239/71). Hier muss die Wertung des § 645 I S. 1 BGB den Billigkeitsgedanken des allgemeinen Leistungsstörungsrechts verdrängen: Der Besteller muss in diesem Fall aus § 645 I S. 1 BGB dem Werkunternehmer seine Aufwendungen ersetzen, nicht aber aus § 326 II BGB.

Fazit

Ein anspruchsvoller Fall mit hoher Klausur- und Examensrelevanz. Die Einordnung eines unbekannten schuldrechtlichen Vertrags (hier: Lufbeförderungsvertrag) unter einen Vertragstypus aus dem Schuldrecht BT, das Unmöglichkeitsrecht sowie das Werkvertragsrecht sind allesamt wichtige und beliebte Prüfungsgebiete.
Wenn sich bei Dir im Zivilrecht noch nicht der gewünschte Erfolg einstellt, helfen Dir unsere Dozenten der Kraatz Group, der Akademie Kraatz und Assessor Akademie gerne, um gemeinsam ein Prädikatsexamen zu erreichen. Melde Dich bei uns für einen kostenlosen Beratungstermin oder eine Probestunde! Dazu kannst Du auch gerne das Kontaktformular nutzen.

Relevante Lerninhalte

 

Relevante Lerninhalte

  • Einordnung eines unbekannten schuldrechtlichen Vertrags (hier: Lufbeförderungsvertrag) unter einen Vertragstypus des Schuldrechts BT
  • Unmöglichkeitsrecht
  • Werkvertragsrecht

Relevante Rechtsprechung

  • BGH, Urteil vom 25.06.2024 - X ZR 97/23 = ZIP 2024, 1896


RSS Feed abonnieren