Mythos Jura Probleme auswendig lernen: Ist das Auswendiglernen im Jurastudium sinnvoll oder überflüssig?

10.01.2025 | von Dr. Robert König

Was ist dran am Vorurteil über das Jurastudium und Referendariat?

Spricht man mit Nichtjuristen, so hört man häufig folgende Sätze:
"Jurastudenten lernen doch nur auswendig" oder noch schlimmer "Juristen lernen Paragrafen auswendig". Auch unter unseren Social Media Videos (falls Du noch kein Abonnent bist, lass uns gerne bei YouTube, Instagram oder TikTok ein Abo da!) findet sich gelegentlich der "geistreiche" Kommentar: "Jura ist leicht. Auswendiglernen kann jeder."
Die beiden letzten Behauptungen sind eklatant falsch und zeugen von den fehlenden intellektuellen Fähigkeiten des Aussagenden. Ich bin mir ganz sicher, dass diejenigen, die derartige "Weisheiten" äußern, nicht einmal das erste Semester im Jurastudium überstehen würden. Wenn Du mit derartigen Aussagen konfrontiert bist, solltest Du Dir das Diskutieren sparen und diese Leute ignorieren. Letztlich verstehen Sie Dich ohnehin nicht.
Aber was ist nun dran an der Behauptung, dass man als Jurastudentin oder Jurastudent schlicht den Stoff auswendig lernen muss? Wir klären auf!

Der Unterschied zwischen Wissen erlernen und Auswendiglernen

Jura wird auch häufig als ein "Paukfach" bezeichnet. Aber Pauken ist nicht unbedingt gleichzusetzen mit Auswendiglernen. Ein klassisches Studium, das viel Auswendiglernen erfordert, ist das Medizinstudium zum Beispiel. Hier muss man in vielen Klausuren "einfach" zuvor auswendig gelerntes Wissen reproduzieren. Das kennt man aus der Schule, wo überwiegend (leider) der didaktisch veraltete Ansatz des Abfragens von bloßem Wissen im Vordergrund stand. Viel wichtiger ist hingegen die Anwendung des gelernten Wissens auf konkrete, praxisrelevante Sachverhalte. Das gilt letztendlich für sämtliche Berufe, nicht nur für Juristen. Experten in ihrem Beruf können ihr Wissen nicht nur reproduzieren, sondern anwenden.
Natürlich muss man auch im Jurastudium viel Lernzeit einplanen. Doch ohne die Fähigkeit, juristisches Wissen auf den praktischen Fall anzuwenden, wird es schwer, gute Noten zu erzielen.

Klausurtechnik ist wichtiger als etwas auswendig zu lernen

Durch das Jura-Studium kommt man daher nicht durch mit simplem Auswendiglernen. Natürlich muss man gewisses Wissen anhäufen. Alles kann man sich nun auch nicht aus dem Gesetz erschließen. Viel wichtiger ist es jedoch, Zusammenhänge zu erkennen und abstraktes Wissen auf konkrete Einzelfälle anzuwenden. Daher sollte immer die Arbeit am Klausurfall im Vordergrund einer jeden juristischen Prüfungsvorbereitung stehen. Wer nur abstrakt aus Skripten - oder noch schlimmer aus Lehrbüchern - lernt, hat häufig Schwierigkeiten, sein Wissen auf den konkreten Aufgabentext der Klausur anzuwenden. Vielmehr ist das sog. Systemverständnis wichtig.
Nehmen wir einfach mal das Zivilrecht als Beispiel. Ich kann z.B. einzelne Prüfungsschemata aus dem BGB AT, Schuldrecht, Bereicherungsrecht und Sachenrecht auswendig lernen. Wenn es dann jedoch in der Klausur darum geht, z.B. einen Herausgabeanspruch zu prüfen, muss ich das Verhältnis der einzelnen Rechtsgebiete zueinander beherrschen. 
Prüfe ich jetzt einen vertraglichen Herausgabeanspruch (als Primär- oder Sekundäranspruch, z.B. Rücktritt) oder ist hier vielmehr ein sachenrechtlicher Anspruch (§ 985 BGB, § 861 BGB, § 1007 BGB usw.) einschlägig?
Eine Herausgabe wäre im Übrigen auch - sofern die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen - im Wege der Naturalrestitution gem. §§ 823 I, 249 I BGB möglich.
Falls man zu dem Schluss kommt, dass der Vertrag unwirksam ist, kann ein Anspruch bereicherungsrechtlicher Natur oder aber sogar ein solcher aus GoA in Betracht kommen.
Wer nur stumpf auswendig lernt, wird häufig Anspruchsgrundlagen übersehen bzw. letztlich nicht die richtige Anspruchsgrundlage finden. Man muss also nicht auswendig, sondern Systemverständnis lernen. Das gilt nicht nur im Bürgerlichen Recht, sondern ebenso im Strafrecht und öffentlichen Recht.
Daher bin ich auch kein Fan der Aussage, dass man ein juristisches Schema schlicht auswendig lernen sollte. Erstens kann man sich die Prüfungsschemata meistens (nicht immer) aus dem Gesetz herleiten und zweitens muss man diese verstehen.

Ausnahme Definitionen

Bei Definitionen - gerade im Strafrecht - bietet es sich an, diese auswendig zu lernen. Am besten geht dies mittels Karteikarten. Man hat in der Klausur im Jurastudium oder gar im Examen keine Zeit, sich Definitionen erst herzuleiten. Dies gilt insbesondere für das Strafrecht.
Dennoch ist es elementar, dass man den Inhalt der Definition versteht. Andernfalls wird man den Sachverhalt nicht unter die jeweilige Definition subsumieren können.
Ein einfaches Beispiel: Eine Gesundheitsschädigung gem. § 223 I StGB ist jedes Hervorrufen, Aufrechterhalten oder Steigern eines pathologischen Zustands. Wenn man diese Definition nur auswendig lernt, aber nicht weiß, was pathologisch (= krankhaft in Bezug auf den menschlichen Körper) bedeutet, wird man eine Klausur im Strafrecht nicht richtig lösen.

Häufiger Fehler: Der Meinungsstreit wird schlicht auswendig gelernt

Bei Meinungsstreits sollte das Auswendiglernen jedoch mit Vorsicht genossen werden. Von den Studierenden sollten die Probleme gekannt und auch erkannt werden. Natürlich sind auch die wichtigsten Argumente stets zu nennen. Bei "abgedroschenen" Klassikern, wie beispielsweise dem Erlaubnistatbestandsirrtum, sollten die gängigen Argumente beherrscht werden. Allerdings gilt auch hier, dass man nicht nur auswendig lernen, sondern verstehen muss!
Ansonsten honorieren es alle Prüfer, wenn man juristische Probleme (wozu auch Meinungsstreits gehören) mit dem juristischen Handwerkskoffer löst. Nutze also Dein Judiz und vor allem die gängigen Auslegungsmethoden (Wortlaut, Systematik, Historie, Sinn und Zweck sowie ggf. die europarechtskonforme Auslegung). Viele unserer Dozenten haben selbst umfangreiche Erfahrung als Prüfer am Justizprüfungsamt, und in den zahlreichen Gesprächen wird immer wieder deutlich, dass alle Prüfer die Arbeit mit und an dem Gesetz sehen wollen!
Hinweis: Um den Meinungsstreit in Deiner Jura Klausur perfekt aufzubauen, lies Dir gerne unseren Artikel, den ich mit Hendrik Heinze von der Assessor Akademie verfasst habe: Juristische Streitstände: Darstellung eines Meinungsstreits .

Fazit: Jura lernen ist nicht auswendig zu lernen!

Natürlich muss man auch in der Rechtswissenschaft - wie in jedem anderen Fachbereich - gewisse Dinge auswendig lernen und Wissen anhäufen. Ein guter Jurist zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass er dieses abstrakte Wissen auch anwenden kann. Mit bloßem Auswendiglernen wird niemand ein gutes Examen schreiben.
Daher achten unsere erfahrenen Repetitoren der Kraatz Group, Akademie Kraatz und Assessor Akademie darauf, dass Du im Rahmen der Examensvorbereitung systematisch und klausurenorientiert lernst. Wir schulen Dein Problembewusstsein und bringen Dir bei, den juristischen Handwerkskoffer effektiv zu nutzen. Nur so wirst Du im Staatsexamen auch unbekannte Sachverhalte richtig lösen können. Das oft propagierte Auswendiglernen von "heißen" Rechtssprechungsfällen ist bloße Panikmache. Meistens verarbeiten die Prüfungsämter aktuelle Rechtsprechung nicht 1:1, sondern drehen an der einen oder anderen Stellschraube.

Dr. Robert König
Mitgesellschafter und Geschäftsführer des Jura Essential Verlags
 

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