Überblick über die Schranken-Schranken in der Grundrechte Klausur

06.11.2024 | von Dr. Robert König

Die Schranken-Schranken im Prüfungsschema

Du kennst sicher das klassische Prüfungsschema eines Freiheitsgrundrechts:
  • Schutzbereich
  • Eingriff
  • Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung geht es um die Frage, ob die in das Grundrecht eingreifende staatliche Maßnahme (z.B. ein Gesetz oder Gerichtsurteil) gerechtfertigt ist.
Dazu musst Du zunächst die Schranke des jeweiligen Grundrechts feststellen (allgemeiner oder qualifizierter Gesetzesvorbehalt; verfassungsimmanente Schranken).
Nach der Bestimmung der Schranke prüfst Du die sog. Schranken-Schranken. Das bedeutet, dass eine staatliche Maßnahme nicht zügellos in das Grundrecht eingreifen darf. Der Name Schranken-Schranke kommt daher, dass diese Grundsätze die Schranke wiederum beschränken.

Überblick über die wichtigsten Schranken-Schranken

Die wichtigste Schranken-Schranke, die jeder Student kennt, ist der sog. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Daneben solltest Du aber auch den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 20 III GG und für Strafgesetze Art. 103 II GG), das Zitiergebot (Art. 19 I S. 2 GG), das Verbot des Einzelfallgesetzes (Art. 19 I S. 1GG) sowie die Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 II GG) kennen.
Manche Grundrechte enthalten daneben noch eigenständige, besondere Schranken-Schranken (z.B. das Zensurverbot in Art. 5 III GG für die Meinungsfreiheit).
Hinweis: Wundere Dich nicht, wenn Du in einem Grundrechtslehrbuch einen abweichenden Prüfungsaufbau findest. Mitunter wird z.B. das Zitiergebot im Rahmen der formellen Verfassungsmäßigkeit des einschränkenden Gesetzes geprüft. Aber wie immer gilt: Den Aufbau darf man in der Klausur nicht begründen. Der hier gewählte Aufbau ist weit verbreitet und in jeder Klausur vertretbar.

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Die wichtigste Schranken-Schranke, die in jeder Grundrechtsklausur zu prüfen ist, stellt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar. Er leitet sich aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 III GG sowie aus dem Wesen der Grundrechte selbst her (BVerfGE 19, 342, 348 f.).
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird in 4 Stufen geprüft:
  • Legitimer Zweck
  • Geeignetheit
  • Erforderlichkeit
  • Angemessenheit

1. Legitimer Zweck
Das in das Grundrecht eingreifende Gesetz muss einen legitimen Zweck verfolgen.
In diesem Sinne muss es einem Gemeinwohlziel dienen, das von der Verfassung her nicht generell unzulässig ist. Insgesamt sind keine hohen Anforderungen an den legitimen Zweck zu stellen, denn dem Gesetzgeber stellt ein weiter Spielraum zu.
2. Geeignetheit
Das Gesetz ist geeignet, wenn es den angestrebten Zweck fördern kann.
Mithin darf es also nicht von vornherein untauglich sein, den Zweck zu erreichen. Die Geeignetheit ist keine rechtliche, sondern eine empirische (tatsächliche) Frage. Hierbei besteht eine Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, die das BVerfG rechtlich nur auf Evidenz überprüft (BVerfGE 50, 290, 332).
3. Erforderlichkeit
Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn es kein milderes, gleichermaßen wirksames Mittel gibt.
An dieser Stelle ist der Sachverhalt auf vermeintlich mildere Mittel (= weniger belastende Mittel) abzuklappern. Im Ergebnis werden diese jedoch meistens weniger effektiv sein.
Kraatz-Tipp: Am legitimen Zweck oder der Geeignetheit wird es in der Klausur im Grunde nie scheitern. Im Einzelfall kann eine Maßnahme aber nicht erforderlich sein. Solche Klausuren sind jedoch auch selten. In der Regel ist der Klausursachverhalt auf eine Angemessenheitsprüfung angelegt.
4. Angemessenheit (bzw. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne)
Um angemessen zu sein, darf das Mittel nicht völlig außer Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen.
Mithin ist eine Zweck-Mittel-Relation vorzunehmen. Es muss also eine Güterabwägung zwischen den öffentlichen Interessen (Zweck) und den Auswirkungen der staatlichen Maßnahme (Mittel) auf die betroffenen Grundrechte vorgenommen werden.

Bestimmtheitsgebot

Das Bestimmtheitsgebot, auch Bestimmtheitsgrundsatz genannt, leitet sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 III GG her. Für Strafgesetze ist es explizit in Art. 103 II GG aufgeführt.
Nach dem Bestimmtheitsgebot müssen Gesetz so klar formuliert sein, dass die Adressaten ihr Verhalten danach ausrichten können.
Entscheidend ist, ob sich mithilfe der üblichen Auslegungsmethoden ein hinreichend klarer Inhalt der Norm für den Adressaten ermitteln lässt. Mithin reicht „Bestimmbarkeit“ aus, um das Bestimmtheitsgebot zu wahren.

Zitiergebot (Art. 19 I S. 2 GG)

Nach dem Zitiergebot müssen Gesetze, die Grundrechte einschränken, explizit darauf hinweisen und die betreffenden Grundrechte nennen. 
Nach Sinn und Zweck soll das Zitiergebot sicherstellen, dass keine unbeabsichtigten Grundrechtseingriffe erfolgen. Der Gesetzgeber soll sich über die Auswirkungen seiner Regelungen für die betroffenen Grundrechte bewusst sein und die Grundrechtseinschränkung kenntlich machen (Warn- und Besinnungsfunktion).
Dennoch legt das BVerfG das Zitiergebot äußerst zurückhaltend aus, um den Gesetzgeber in seiner Arbeit nicht übermäßig zu behindern (BVerfGE 35, 185, 188). Es soll nur auf Grundrechte Anwendung finden, die ihrem Wortlaut nach „durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes“ eingeschränkt werden können. Dies sind die Folgenden:
  • Art. 2 II 3 GG
  • Art. 6 III GG
  • Art. 8 II GG
  • Art. 10 II GG
  • Art. 11 II GG
  • Art. 13 II – V, VI Alt. 2 GG
  • Art. 16 I 2 GG

Verbot des Einzelfallgesetzes (Art. 19 I S. 1GG)

Art. 19 I S. 1 GG statuiert das Verbot grundrechtseinschränkender Einzelfallgesetze. Gesetze sollen im Grundsatz abstrakt-generell gestaltet sein.
Sofern zunächst nur ein Einzelfall von einem Gesetz betroffen sein sollte, kann dies zulässig sein, wenn die Regelung von einem sachlichen Grund getragen wird und das Gesetz abstrakt-generell formuliert ist, sodass zukünftige, ähnliche Fälle auch von ihm erfasst sind.
Beispiel: Der Gesetzgeber verbietet Autos mit einer Höchstgeschwindigkeit von über 400 km/h, da diese zu gefährlich seien. Auch wenn es z.B. nur ein einziges Automodell mit dieser Höchstgeschwindigkeit auf dem deutschen Markt geben würde, wäre das Gesetz kein Einzelfallgesetz. Denn es verbietet nicht dieses eine Kfz-Modell, sondern lediglich Autos mit einer Höchstgeschwindigkeit von über 400 km/h. Wenn in Zukunft weitere Kfz mit diesen Fahrwerten zugelassen werden, sind diese auch von dem Gesetz erfasst.

Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 II GG)

Die Wesensgehaltsgarantie der Grundrechte wird durch Art. 19 II GG garantiert. Es ist möglich, Grundrechte zu beschränken. Nach Art. 19 II GG dürfen Beschränkungen jedoch niemals so weit gehen, dass das Wesen oder der Kern der Grundrechte verändert wird, sodass sie letztendlich praktisch aufgelöst werden.
Kraatz Tipp: Es ist umstritten, was genau der Kern der Wesensgehaltstheorie ausmacht und in welchem Umfang das Verbot gilt. Für die Klausur hat die Wesensgehaltstheorie jedoch keine eigenständige Bedeutung, da die Grundrechte schon durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in ihrem Kern geschützt werden. Sollten sich in einem Klausursachverhalt Hinweise auf die Wesensgehaltstheorie finden, sollte man die Wesensgehaltstheorie im Rahmen der Angemessenheitsprüfung (4. Stufe der Verhältnismäßigkeit) thematisieren.

Fazit zu den Schranken-Schranken im Grundgesetz

Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit musst Du in jeder Grundrechtsklausur ansprechen. Hier müssen die Definitionen sitzen. Wichtig ist auch, dass man keinen „Besinnungsaufsatz“ schreibt, sondern die 4 Punkte sauber darstellt und subsumiert. Die übrigen Schranken-Schranken sprichst Du nur an, wenn der Sachverhalt Hinweise enthält.
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Dr. Robert König
Mitgeschäftsführer des Jura Essentials Verlags
 


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